7. Mai 2008

Anton hat mir Bescheid gegeben, was Elva am Unfallort des Polizisten Grölsweg gesehen hat. Gewisse Ähnlichkeiten zu meinem Unfall sind schon ein Schock. War das wirklich ein böser Fahrradunfall? Herzattacke infolge eines Sturzes? Das sagt die Polizei und auch manche Leute in Detern glauben das. Mich überzeugt das nicht. Das sieht alles nach einem weiteren Mord aus. Vermutlich wusste der Grölsweg zuviel. Hier will jemand ganz gezielt Spuren verwischen und Angst erzeugen. Ziemlich übel.

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8. Mai 2008

In mir sind immer noch sehr große Widerstände. Ich möchte zu den Sportlern aus der HBx10 Gruppe keinen Kontakt aufnehmen, geschweige denn ihnen begegnen, obwohl gerade Elva mich drängt. Am liebsten würde ich dies jemand anderes überlassen. Denn lieber beschäftige ich mit der Familie. Das ist schon schwierig genug. Alles andere würde mich überfordern. Dass sich Vergangenheit über Jahre später wie ein Gefolge von Zimmern anfühlen kann, von denen viele von Ratten bewohnt zu sein scheinen. Vieles verstehe ich einfach nicht, ohne dass ich es stehen lassen könnte. Ich darf mich nicht drücken. -

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9. Mai 2008

Im Nachhinein kann ich gestehen, dass nicht alles, was ich auf den Weg gebracht habe, gut war. Das muss gesagt und geschrieben werden. Bloße Körper und Handlungen mögen jemanden etwa im Film überzeugen, aber anders als das Geschriebene haben sie keine Moral.

Was kann ich machen? Sollte ich mich bei den Sportlern, für die ich „Verantwortung“ trug, obwohl ich mit ihnen – mit einer Ausnahme – nie gesprochen habe, melden und mich entschuldigen? Früher habe ich diesen Gedanken immer wieder beiseite geschoben, nun werde ich bei dieser Vorstellung, vor diese Menschen zu treten, unruhig. Diese Zeilen können nur der erste Schritt in die richtige Richtung sein.

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10. Mai 2008

Lieber beschäftigte ich mich mit meinem Sohn, das ist wichtig, denn bei ihm liegt viel im Argen. Donatus ist im Westen geboren, aber er scheint auf seine Weise in der DDR angekommen zu sein. Das merkt man an einigen Details seiner Wohnung. Das stehen Dinge, die er nur auf Trödelmärkten erworben haben kann und dort gesucht haben muss. Manches habe ich im Museum wiederentdeckt.

museum from Hans Brunkenhoffer on Vimeo.

Er liebt die Ostschrippe. Dafür fährt er sogar mit dem Auto zu einer der noch verbliebenen Ostbäckereien in einem anderen Stadtteil. Dort hält er gerne mal ein Pläuschchen.

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11. Mai 2008

Anton und Elva setzen sich mit dieser Ostalgie auseinander. Man findet immer noch Geschäfte und Stände in den Straßen, auch wenn sie zumeist für Touristen sind. Da kann man bestimmt etwas herauskitzeln. Vielleicht auch in den Bäckereien. Wir essen jetzt diese Brötchen.

Ostkost from Hans Brunkenhoffer on Vimeo.

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Ob er das sieht, wie ich mich mit ihm und seiner Vergangenheit beschäftigte? Ich würde mir das wünschen.

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14. Mai 2008

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Heute war ich mit Donatus in einem Restaurant, das alte DDR-Spezialitäten anbietet. Eigentlich wollte ich nur mit ihm reden. Hören, was so in ihm vorgeht, weshalb er seinen Namen geändert hat und was in so ticken lässt. Doch er sprach nur über das Essen, als wäre es das Wichtigste in seinem Leben. Ich verstehe es kaum, auch wenn es nicht schlecht schmeckt. Ich kann mich nur an das Wort Sättigungsbeilagen erinnern. Diese Art, sich mit möglichst zwei verschiedenen Kohlehydratbeilagen zu „sättigen.“
Ich ging wegen seiner fehlenden sozialen Kompetenz völlig unbefriedigt aus dem Restaurant.

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18. Mai 2008

Nur zu oft muss ich an die Sportlerin Frau P. denken. Eigentlich war ihre Statur zu mächtig für Hürdenlauf – trotz ihrer Sprinterqualitäten. Sie hat sich ihre Titel gegen jede Konkurrenz erlaufen müssen, gerade gegen die Amerikanerinnen. Sie brauchte den Hbx10 Mix, ganz besonders, um vaskulärer zu werden, drahtiger. Bei ihr musste den wassereinlagernden Nebenwirkungen von Oral-Turbanform entgegen gewirkt werden. Ein Spiel mit Teufels Küche.

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20. Mai 2008

So nah wie in Seoul war ich nie wieder am Wettkampfgeschehen dran. Da erreicht man den Gipfel und jedes Hindernis, das tägliche Training, an dem man zuvor zu scheitern drohte, erscheint von oben auf einmal winzig und notwendig. –

Für Dokumentationszwecke durfte ich während der Probeläufe mit ins Olympia-Stadion, daher konnte ich einige hervorragende Bilder schießen, besonders von Manuela Pirosch, die zu einer einmaligen Höchstform auflief. Ich sprach mit ihr und und schaute mir das Goldkind bei der Pressekonferenz an. So unfassbar der Sieg für sie und mich war, dieser unglaubliche Moment trug bereits einen Makel.

Ich betreute drei Sportler aus verschiedenen Teams und trotz der erheblich dichter gestrickten Kontrollen lief es bei allen gut, bis dann das 100-Meter-Finale der Läufer kam. Als der Startschuss ertönte, flog Ben Johnson wie eine Kanonenkugel davon und erreichte das Ziel in unglaublichen neun-komma-siebenundneunzig und hielt dabei den Zeigefinger emporgereckt.

Drei Tage später stand der Spitzensportler als Betrüger am Pranger, nie zuvor war Doping je so im Fokus, niemals wurde die Luft so dünn, kein einziges Mal geriet meine Tätigkeit so in die Kritik. Das merkte man sogar bei Manuelas Pressekonferenz, als sie sich zu ihrem Sieg äußerte – obwohl sie da vor der Menge wie ein einfaches Mädchen vom Lande stand, der man kaum wirklich zugetraut hätte, irgendetwas Falsches getan, geschweige denn genommen zu haben, so scheu wie sie die Lippen wiederholt zusammenpresste. Unglaublich, wie sie das machte. Dennoch der Vorwurf stand wie mit Händen greifbar im Raum.

Ich muss gestehen, ich brauchte drei weitere Tage, bis ich vollends begriff, was dieses Ereignis bedeutete. Ich traf zunächst meine Leute, sprach die Sache mit Ben Johnson an, tauschte vorsichtig Informationen aus, wie die Prüfer bei ihnen vorgegangen waren, hörte mir auch die Danksagungen derer an, die nicht erwischt worden waren. Das galt für jeden, der bei mir war. Wir übertrieben einfach nicht so, wie das die Amerikaner getan haben mussten. Dann kamen Anrufe wegen Manuela, ob sie nicht ungewöhnlich vermännlicht sein, sie hätte sich sehr verändert – ein Journalist aus Berlin hatte mich aufgespürt und Grölsweg lief mir über den Weg. Letzteres war ein echter Schock, dann stand er vor meinem Hotel. Wir unterhielten uns, wie wir es schon immer getan hatten, ein Austausch von Belanglosigkeiten: Mit welchem Flug ich gekommen sei, das Hotel, das Wetter, nur dass er dabei so grinste. Ich beschloss, mich nun wenigstens auf der Westseite zurückzuhalten und meine Aktivitäten auf ein anderes Niveau zu bringen.

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