Frau Pfiffling hat mir eine Adresse von einem D. Kirchhoten gegeben, das ist ein wenig irritierend. Ich wollte wissen, wer das ist und warum ich diesen Menschen treffen soll. Sie meinte nur, dass er mir weiterhelfen könnte. Inzwischen habe ich den Verdacht, es handelt sich um meinen Berliner Sohn.
29. April 2008
Ankunft mit dem Bus in Berlin. Vor lauter Aufregung habe ich den blauen Punkt in meinem neuen Handy gefilmt.
Berlin ankunft from Hans Brunkenhoffer on Vimeo.
29. April 2008
Er war es tatsächlich. Nur dass sich mein Sohn nun Donatus nennt und den Mädchennamen meiner Frau trägt. Schlimmer noch, die Begegnung in dessen Wohnung war grauenhaft unterkühlt, wir sahen uns an, beschnupperten unsere Ähnlichkeit, Gesichtszüge, Körperbau – fast lagen mir Trainingsvorschläge auf den Lippen – aber das war’s. Es machte nicht Klick: Keine Umarmung, keine Freude, die aufkommen wollte. Eigentlich hätte ich schreien mögen, doch ich fühlte mich fast erschreckt, diesen mir so nahen Menschen anzusehen und nur Leere zu empfinden. So wie er mir allzu sehr glich, so sehr war er mir fremd. Ein Wesen, das ausgerechnet mir gegenüber behauptete, „Donatus“ zu sein. Ein Sohn, der nicht meinen Namen tragen will. Unfassbar. –
Wir einigten uns darauf, dass er mit seiner Mutter reden sollte, damit wir uns alle sehen konnten. Wenigstens das sagte er zu. Ich rief gleich Anton und Elva an.
30. April 2008
Nun steht also das Treffen mit meiner Ex-Frau an. –
Ich schaue mir unsere Fotos an. Eine Studenteneise nach Kreta. Wir sahen glücklich aus neben unseren Scootern.
Doch unser Alltag war für unsere Beziehung Gift. Wie oft schlugen wir uns etwas aus. Das Übliche: Freunde, Stimmungen, Ziele und Zeitmanagement, unsere Tage waren voller Aktivitäten, wir waren eigen und willensstark. Als Thomas gezeugt wurde, war es vorbei. Eigentlich wollte ich mich von ihr trennen, als sie mir sagte, schwanger zu sein und nicht abtreiben zu wollen. Ein gemeinsamer Alltag mit Kind war undenkbar, das waren wir nicht. Obwohl ich sie darum bat, weigerte sie sich abzutreiben. Also blieb ich und wir heirateten sogar. Ich versuchte, der eingeforderten „Verantwortung“ nachzukommen, doch nach der Geburt unseres Sohnes dauerte es nicht lange und wir waren zerstritten. Kein Tag ohne Vorwürfe oder empörtes Schweigen.
Thomas, der Unfall unserer Leidenschaft, lag in unserem Bett zwischen uns, er schrie und sabberte. Er rölpste Milch. Drei Monate Brustmilch, ein halbes Jahr täglich ein Fertigprodukt. Unerträglich. Selbst im Bett feuchte, verfärbte Bettwäsche. Irgendwo in der Mitte lag das Baby und ich landete an der Kante, Rücken zu Geliebter und Kind, und schließlich in anderen Betten. Nach der Trennung war ich ein anderer Mann. Ich dachte nur an eins: Ficken. Ursula stoppte es nur kurz, es dauerte nicht lang, und ich musste wieder jede Frau haben. Ob Detern, Dienstreise, Sportstadion – kein junges Wesen mit Kurven war sicher vor mir. Ich konnte diesen Drive einfach nicht stoppen.
Petra und Thomas unterstützte ich dennoch nach Kräften, ihretwegen suchte ich einem Job mit besserem Einkommen für den Unterhalt. Petra verzieh mir irgendwann. -
30. April 2008
Mein Sohn und seine Freundin studieren in Berlin. Anton geht an die Humboldt und lernt Japanisch. Das finde ich sehr spannend und werde das auch machen. Vielleicht ergibt sich daraus eine Perspektive, wenn diese Geschichte vorbei ist.
2. Mai 2008
Mein Sohn, Donatus, Thomas, dieser junge Mann mit dem Mädchennamen von Petra, der mit mir nichts zu tun haben will, ist ein Einkaufssnob, wie ich es niemals war. Für mich ist Essen sorgfältig zu wählender Brennstoff bzw. Aufbaumittel. Mit ihm tune ich meine Kraft und meine Masse. Das ist wissenschaftlich. Ihm geht es um mehr die feinen Unterschiede – auch zu mir. Das ist ein kopflastiges Fantasma.
3. Mai 2008
AutarkiePM, letztlich weiß jeder Sportler, was er tut, intuitiv wenigstens. Man spürt es mit dem Bauch, man verlangt nach diesem Gefühl, der power. Höchstleistung, Extreme und Wettkampf – das bleibt eigene Verantwortung, und ein gewisser experimenteller Umgang mit sich, ein existentialistisches Überschreiten von Grenzen – das gehört einfach dazu. Da muss ich mir und meiner Arbeit nichts vorwerfen!
4. Mai 2008
Mehrfach rufe ich bei meinem Donatus an, aber er nimmt nicht ab. Ich weiß nicht, warum. Wie oft versteht man nicht, was man in einer Beziehung falsch gemacht hat. Ich habe ihn eingeladen, mal mit mir zum Training zu kommen. Habe da ein gutes Studio in Berlin Westend entdeckt.
Wenigstens ist der Draht zu Anton und seiner Freundin da, sonst könnte ich das nicht aushalten.
brust anime from Hans Brunkenhoffer on Vimeo.
5. Mai 2008
Goldgewinnerin, Dopingopfer, Geschlechtsumwandlung – wie viel von Manuela Pirosch im Netz stand. Sie hatte zu der speziellen Gruppe gehört, die von der Pfiffling trainiert wurde. Diese hatte mit großer Akribie Trainingserfolge, Einnahmen und körperliche Veränderungen wie Gewicht, Leistungssteigerung und Regenerationsphasen dokumentiert. In dieser Zeit wuchs Manuelas Körper auf beängstigende Weise an. Masse, Kraft – aus einem ohnehin großmuskeligen Mädchen wurde eine Frau, die in den Medien als Reckin, Germanin und Ähnliches bezeichnet wurde. In einem Artikel wurde sie einmal als blaues Wunder bezeichnet, der man das Geschlecht kaum mehr ansehen könne – ohne dass dies weiter erklärt wurde.
Ich kann ja erklären, wie diese Entwicklung von statten ging, da lassen meine Papiere keinen Zweifel. Heute lassen mich diese Dokumentationskladden schauern. -
6. Mai 2008
Mein Sohn Donatus trainiert auf dem Friedrich-Ludwig-Jahn Sportplatz. Er rennt dort auf der Aschebahn. Doch der eigentliche Anlass ist, dass er Kollegen trifft, denen er Präparate gibt. Anton und Elva konnte es filmen. Unglaublich, wie offen das zugeht. Ich habe ihm die Bilder zugänglich gemacht und angeboten, mit ihm darüber zu reden. Aber er meldet sich nicht.
training berlin from Hans Brunkenhoffer on Vimeo.