10. Mai 2006

Nun mache ich mich ein Jahr lang wahr und ja, ich habe und hatte tatsächlich mein Leben satt. Deswegen die fehlenden Bremspuren, etwas sagte Nein. Etwas wollte diesen Unfall. –

Es gibt einfach zu viele Dinge, die mich runterziehen, zu vieles, was ich falsch gemacht habe. Mein Alter nagt an mir, der nicht mehr aufhaltbare Verfall meines Körper ist unerträglich. Ich habe mit meinem Leben Roulette gespielt und es überlebt. Aber zu welchen Konsequenzen?

Es gibt nur eins, ich muss hier weg. Weit weg. Und zwar, wenn ich sie wieder gesehen habe.

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1. Juni 2006

Mein Schatz, ich habe mir inzwischen eine dauerhafte Unterkunft gesucht. Sie liegt an einer lauten Straße, aber zum Glück geht nur das Bad geht auf den Lärm und so wummert von dort die Stadt in die Wohnung: Tuktuks, Busse und Autos sind zu hören. Vom Hof riecht es nach mir nicht bekannten Gewürzen. Ob Koriander dabei ist?

Auf den ersten Blick ist Kambodscha nicht so hellgrün, hellrosa und hellblau wie Thailand. Das war auch gleich bei den gedeckten, zurückhaltenden Farben der Fluglinie zu sehen. Phnom Penh fühlte sich bei der Ankunft dank des Monsuns weniger schwül an als Bangkok. Beide Städte haben einen riesigen Fluss. Den vielarmigen Mekong konnte ich vom Flugzeug sehen, viele Seen schimmerten. Er ist nur 500 Meter von meiner Bleibe im Stadtzentrum entfernt, es ist kein Fluss der Brücken. Phnom Penh bescheidet sich mit seiner linken Seite.

Ich bin bereits oft an seinem Ufer gewesen und habe dort etwas zur Stadtgeschichte gelesen: Könige, Frankreich und Pol Pot haben ihre Spuren in der Hauptstadt hinterlassen. Bevor ich mir die Gefängnisse der roten Khmer anschaue, werde ich den Königspalast besuchen.
Noch kenne ich niemanden hier. Die Leute in meiner Unterkunft wirken sehr freundlich. Ich habe mich nach einem Gym erkundigt. Auf meine Frage lächelten die Leute fast ehrfürchtig. Ich fühle mich riesig hier, nahezu überflüssig. Zuviel angesammelte Geschichte hängt an meinen Knochen.

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22. Juni 2006

Was hältst du von der Idee, erst einmal Englisch und Deutsch zu unterrichten? Vielleicht werde ich mich auch einer NGO anschließen. Ich will wirklich etwas anderes machen. Den Menschen etwas geben. Und etwas muss ich doch tun, so ergiebig ist mein Konto nicht.

Das Gym war unbefriedigend. Aber etwas sollte ich machen, damit sich die Masse nicht in Fett wandelt. Da nicht alles, was ich genommen habe, sauber war, sollte ich aufpassen.

Ich esse sehr wenig und versuche auf der Straße die meist sparsam geschmeidigen Bewegungen der Menschen hinzukriegen und damit das letzte Jahr zu überschreiben. Vermutlich sieht das lächerlich aus, aber ich will kein breitarmiges Laufen mehr. Du glaubst gar nicht wie anders man sich ohne diese Mittel lebt. In den letzten Monaten vor der Abreise war in das Grundrauschen, das man von sich hören kann, ein spitzer Ton gekommen. Kaum wahrnehmbar, dafür hoch und extrem gespannt wie bei einer Saite. Ich glaube, das ist der Signalklang, den die Steroide im Körper erzeugen. Bedingt ähnlich wie das Rauschen von Stress, aber mehr ruhelose Spannung auf Mehr. Deren chemische Maschinerie, die meinen Stoffwechsel so stark verändert hat, pinkele ich nun langsam aus.  –

Wenn es schnell geht, erkennst du mich bei der deiner Ankunft vielleicht nicht wieder. Noch habe ich das Gefühl, mein Körper ist mir dabei im Weg, den Menschen hier näher zu kommen.

Ich will diesen Blog guten Gewissens beenden können. Das heißt, einen Weg aus einem Lebensgefühl zu zeigen, dass nur mit sich selbst verkabelt ist und sich selber immer größer macht. Versuchen, wie die Menschen in diesem Land zu schweigen. Hat der Buddhismus nicht das Ziel, den Kreislauf der Wiedergeburten zu durchbrechen?

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30. Juni 2006

Gute Nachrichten: Inzwischen habe ich ein paar nette Leute kennengelernt, Engländer, mit denen ich auf Parties gehe und bald Angkor Wat besuchen werde. Aber keine Sorge, ich bin nicht mehr auf Frauenfang. Das habe ich auch aufgegeben. Von dir habe ich schon erzählt. Sie freuen sich auf dich. Vielleicht kannst du bald hier sein und mitkommen? Angkor Wat soll einfach unglaublich sein. Die beiden waren nämlich schon da. Irgendwie scheint das IHR Ort zu sein: Sie sagen, sie laufen da gemeinsam herum und halten sich die Hände.

Ich mache jetzt keinen Kraftsport mehr. Der Vertrag ist gekündigt. Ich laufe stattdessen täglich in den frühen Morgenstunden am Mekong entlang. Dieser Fluss hat eine merkwürdige Anziehungskraft auf mich. Neben ihm habe ich das Gefühl, alles sein zu dürfen. Ein Gefühl von Schweigen – wie die Menschen in dieser Stadt: Wie viele leben noch von denen, die von Pol Pot auf das Land geschickt wurden? Es gibt unglaublich viele verschlossene Gesichter hier. Harte, schweigsame Mienen.

Aber wenn ich ihnen zunicke, öffnen sie sich erwartungsvoll.

Das erlebe ich besonders am Abend, wenn ich mit den beiden Engländern tanzen gehe. Du glaubst es nicht, aber ABROCKEN wird meine neue Leidenschaft, glaube ich.

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2. August 2006

Selbst beim Ausgehen merke ich, wie gut mir Schweigen tut. Wenn die Musik laut ist und man sich nicht unterhalten kann, habe ich kein Problem damit. Ich beobachte und vergesse.

In einer Woche geht es bereits nach Angkor Wat. Darauf freue ich mich sehr, auch wenn ich traurig bin, dass du nicht so schnell nach Kambodscha fliegen kannst, weil du noch in der Probezeit bist.

Fiona schreibt mir noch als Einzige. Die Gymfreaks haben mich aufgegeben.

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4. August 2006

Beautiful young couple at Banteay Srei temple, Cambodia. Angkor Wat Angkor Wat - Der Tempel im UrwaldGiant tree covering Ta Prom temple, Siem Reap, Cambodia Elephant and plam tree on twilight timeAngkor Wat ist unglaublich, absolut unfassbar. Hier verdichtet sich, was ich am Mekong gespürt habe. Aber keines der Fotos wird das zeigen. Es ist im Körper. Es hat damit zu tun, wie er auf den Raum reagiert, den der Fluss schafft, und auf den, den dieser Tempel strukturiert. Ich weiß, das macht jetzt keinen Sinn. Ich habe es trotzdem aufgeschrieben.

Nochmal: Ich habe noch nie etwas Großartigeres gesehen, wie diese langen Säulengänge mit den kurvigen Reliefs, die Türme, die an Lotusblüten erinnern, und die Galerien und Ebenen, die einen emporführen. Dort sitzt dann seit ewigen Zeiten Mönch in Orange. Es berührt mich.

Trotz der vielen Touristen, die die Großzügigkeit der Anlage mit kleinen, fast punktgleichen Bewegungen durchmessen wollen, hatte ich bei jedem Schritt das Gefühl, hierher mit dir zurückkehren zu wollen. Vielleicht haben mich meine englischen Freunde angesteckt, die sich hier hemmungslos in Superlativen ergehen.

Tatsächlich will ich dir Angkor Wat zeigen. Du musst einfach bald kommen. Ich will dir dich fühlen lassen, wie hier behauene Steine und die Natur zusammengewachsen sind. Mir fallen dafür nur altmodische Worte ein: Es ist erhabenen. Oder etwa ein Satz wie: Die Zeit ist aufgehoben. Egal, was man dazu sagen kann, ich möchte es mit dir teilen. Hoffe, dass das auf uns und unsere Beziehung übergeht. Ich weiß nicht, ob man das so ausdrücken kann.

Ich habe dich an diesem Ort ganz besonders vermisst.

Also, ich bin dankbar, dass ich nun viel mit Ken und Margereth unternehme. Beide sind übrigens auch Englisch-Lehrer in Phnom Penh und wohnen nur wenige Blöcke von mir entfernt. Wir sitzen viel in Cafés.

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18. August 2006

Ich mache inzwischen eine noch strengere Diät: Kein Fleisch mehr. Stattdessen viel Fisch aus dem Fluss, die hiesigen Suppen und vor allem Papaya-Salat. Damit purzelt das Gewicht, Fett hat keine Chance. Fotos von mir schicke ich dir aber noch nicht.

All die Masse, die ich mir angefuttert habe, schmilzt, und ich muss mich nun täglich entschlacken, um die Gifte des letzten Jahres herauszubekommen. Da ich mir sicherlich so Einiges an Schadstoffen eingelagert habe, sollte ich nun viel Wasser trinken, mehr, als die beständige subtropische Hitze es erfordert.

Som Tam Thai - Thai Green Papaya Salad with peanuts.

 

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2. September 2006

Nach einer harten Zeit, wo mir von der Schule mehrmals die Woche hospitiert wurde, habe ich meine Prüfung mit Erfolg abgelegt. Die Schüler hier sind scheu, man muss sie richtig motivieren, damit sie überhaupt reden. Das macht mir Spass, ich bitte sie immer wieder darum, Fehler zu machen, sich auszuprobieren. Das scheint ihnen zu gefallen.

Ich gelte als sehr freundlich. Dass ich die Schüler mit einer Videokamera traktiere, um ihnen ihre Fehler vorzuführen, kommt mir nicht in den Sinn.

Viele sind immer noch erstaunt, wir muskulös ich noch bin. Spätestens in der dritten Stunde bitten mich solche Schüler, ich solle mal meinen Bizeps vorführen. Dabei ist der schon um die Hälfte kleiner geworden. Wenn sie ihn betasten, machen die Frauen merkwürdige Geräusche. Mir ist das peinlich. Zwei, drei Monate noch, dann werde ich wieder normal sein. Vielleicht schaffe ich es ja, so schlank wie die Menschen in diesem Land zu werden. Wenigstens ist das mein Ziel.

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5. Oktober 2006

Nach deiner Absage habe ich ein paar Tage am Meer in Thailand verbracht. Abends war ich zwar aus, aber ich bin weiter „good“, „too good“ wie mir hier hübsche Frauen, von denen man manche nicht von Ladyboys unterscheiden kann, sagen.

Tagsüber habe ich mich mit viel Wassersport verausgabt. Es gab Momente, wo mir das keinen Spaß gemacht hat – trotz der perfekten Bacardi-Werbung-Landschaften, in denen man sich hier bewegt.

Mein Verhältnis zu körperlicher Anstrengung verändert sich, langsam merke ich, wie mich die „abgehangenen“ Abende mit Margereth und Ken verändern. Ich lache lieber, als dass ich schwitze. Und schwitzen muss man hier täglich. Meine innere Veränderung liegt auch an dir: Du weißt gar nicht, wie sehr ich dich vermisse. Ich fühle mich jungfräulich.

Nach meinem Unterricht wollte ich in den letzten Wochen stets gleich nach Hause und war total unruhig. Ich konnte es gar nicht erwarten, mit dir zu skypen. Aber du hast recht, es ist noch zu früh zurückzukehren.

Das Meer tat mir gut. Morgens war es fast frisch – auch wenn du bestimmt lachst, dass man 15 Grad als frisch bezeichnen kann, aber das Wärmeempfinden ändert sich schnell. Endlich macht es mir wieder Spass, einfach nur herumzuliegen und zu lesen. Ich habe wieder mit Proust angefangen.

The new spectacular sport called  flyboard
Wassersport Kambodscha

Ich bin sicherlich auf dem richtigen Weg. Alles, was ich hier schreibe, dient nicht dazu, ich selbst zu sein, sondern nur dem Ziel, als Person möglich zu werden.

 

am meer2
Blick auf Meer
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