29. Mai 2008

So hat mir mein Sohn die Ankunft in der DDR geschildert:

Die innerdeutsche Grenze erreichten sie um die Mittagszeit. Er spürte Petras Aufregung, als er zum ersten Mal die Schilder mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz sah. Unter sich fühlte er Kekskrümel von den Doppelkeksen mit Schokofüllung, Raureif lag auf den vorbeiziehenden Bäumen. Der Atem des VOPOs dampfte. Petra hielt Papiere hoffnungsfroh hoch, der Beamte in den Vierzigern betrachtete Einreisegenehmigung und Einbürgerungsvertrag und sagte nichts. Er rief eine Kollegin. Sie sollten aussteigen und Auskunft geben. Zuerst kümmerten die sich um das aufgetürmte Gepäck oben. Seine Mutter blieb still, selbst als der Mann vom Aufnahmelager und begrenzten Lagermöglichkeiten sprach.

„Ja, mein Verlobter wartet dort bereits,“ sagte sie, „wie komme ich da wohl in das Lager?“

„Aha“, sagte der Grenzer nur. Thomas bemühte sich, ruhig zu bleiben. Bald dribbelte er. Seine Mutter musste darlegen, was sie mit dem Westauto in Hoppegarten wollte. Dafür gäbe es keine Genehmigung. Petra sah Thomas nicht an, Zärtlichkeit schien an der Grenze verboten. Sie wollte wohl die Männer von der VOPO zufriedenstellen. Er hatte fast kein Spielzeug und gar keine Bücher mitnehmen dürfen. In seinen Beinen veränderte sich etwas, weiche Knie. Er befahl den Stängeln Stillstehen, weil er sich auf die Durchsuchung konzentrieren, keine falsche Zeichen geben und die Sache verkürzen wollte – seine Mutter hatte ihn ermahnt. Die Beine schlackerten wieder, kein Spannen half mehr. Petra fragte, ob ihm kalt sei. Kalt, fragte er sich, war dies sein Gefühl? Hatte er Gänsehaut, wenn die letzten Sachen aus dem Kinderzimmer durch die Hände fremder, uninteressierter Menschen liefen? Petra warf ihm ihre Jacke um und hielt seine Hand. So machte er eine Welle im Raum. Der Grenzer grinste ihn an. Lieber hätte er die Jacke abgeworfen. So hätte er die Aufmerksamkeit nur vergrößert. Wie bekam seine Mutter eine Haltung hin, die jedem vermittelte, das Richtige in dieses Land zu bringen, nämlich sich? Die grauen Staatsvertreter öffneten und schlossen ohne Sinn und Verstand Kisten, Taschen und Koffer. Sachen fielen heraus und wurden wieder reingestopft, und nichts beanstandet – dank Petras Vorarbeit. Beim Wiedereinstieg ins Auto waren seine Beine sehr müde vom unterdrückten Zittern. –

Als er erwachte, parkte Petra vor einem riesigen Bau aus regelmäßigen, gerieften Betonplatten. Untergemischtes Kleingestein als Oberfläche, gleichmäßige Fenster. Sie gingen durch eine schlichte Flügeltür aus Glas und Metall mit breitem Holzgriff hinein. Neonlicht führte sie in ein Büro, wo sie Ausweise vorzeigten. Nur Schlafanzüge und Toilettensachen durften mit in die kleine Kammer, in die sie eine hagere Frau führte. Mausblondes Haar. Gedrückt wirkende Männer und Frauen warteten bereits mit ihnen. Das Zimmer war schmal, es muffte.

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