Auf Elvas Rat hin werde ich bald noch einmal mit Kathrin reden. Ich hoffe, ich komme an sie heran. Sie erscheint mir am schwierigsten zu verstehen, auch als Sportlerin und als Frau. Von dem Menschen, der einmal Manuela hieß, habe ich wenigstens ein Bild.
17. Juni 2008
Elva und ich haben Donatus‘ Unfall nochmals analysiert und anschließend verfilmt. Es gibt doch einige Fragen zu dem, was Donatus erzählt. Dieser Unfall ist noch nicht geklärt.
Sequenz 02 1 from Hans Brunkenhoffer on Vimeo.
17. Juni 2008
Es kam zu den großen Prozessen, in denen das DDR-System aufgearbeitet wurde. Ich hatte alle Kontakte zum Ostdeutschland kurz nach der Wende einschlafen lassen – bis auf Petra. –
Eine weitere Ausnahme war Helga Pfiffling, die einfach zu viele internationale Kontakte besaß. Helga, die mochte ich einfach. Petra hatte sie mir bei einem der Besuche in Ostberlin vorgestellt. Wir hatten diesen schlimmen Kaffee getrunken, saßen da, ihr Mann, Petra und ich, jeweils mit einem Stück Apfelkuchen, das mit einer unappetitlichen Mischung aus Gelatine und viel zu zuckerhaltigem Mus gefüllt war und den ich mit einem Hinweis auf meine Diät ausschlagen konnte, und redeten wieder einmal über große Trainer, als diese Frau hereinkam.
„Wenn man vom Teufel redet,“ sagte Petras Mann, „sie ist die allergrößte, dein Gegenpart, ihre Sportler kommen besonders weit!“ und winkte ihr.
Wir führten ein großartiges Gespräch über Sport, die Möglichkeiten der Sportmedizin und die großen Talente – auch noch als Petra und ihr Mann schon weg waren. Wir begegneten uns mehrmals während dieses Aufenthalts. Nach einem Abend im Restaurant mit viel Wein und Wodka an der Bar – die Gläser machten bereits vorfreudig-dumpfe Geräusche auf der künstlichen Marmorplatte, kaum unterdrückt von den Untersetzern; dazu Eisklirren und das Glänzen von Messingbögen – landeten wir im Bett eines preiswerten Mittelklassehotel für Geschäftsreisende in Leipzig. Die Matratze, auf der wir die Nacht vervögelten, war schmal und wir trieben es darauf erst französisch, dann deutsch, später englisch, indisch und sogar griechisch. Dann wieder französisch, um anschließend den Sonnenaufgang zu missionieren. –
Beim Morgenkaffee erhielt ich von ihr eine kopierte Dokumentation, die für die Zukunft wichtig werden sollte, ein echter medizinischer Schatz, kaum sonst jemand besaß eine derart detaillierte Sammlung von Mitschriften, die Auskunft über so viele unterschiedliche Sportler über einen derartig langen Zeitraum gingen. Beim ersten Überfliegen wusste ich, mit dieser Frau will ich zusammenarbeiten.
Genau das ist geschehen und es lief über Jahre gut. Dann kam dieser Prozess. –
Es waren diese Papiere, die mir Ursula zurückgegeben hat. Wichtiger sind die Protokolle von unserer gemeinsamen Gruppe. Die waren im Schreibtisch ganz zuunterst.
Von allen Fällen war der von Manuela Pirosch am spannendsten, den haben die Pfiffling und ich am längsten und mit den schlimmsten Konsequenzen vorangetrieben – völlig verantwortungslos, wie ich mir wieder sagen muss. Dabei erschien sie so robust.
Nun muss ich da immer wieder in die Papiere schauen. Auch in eine Reihe von entlarvenden Spesenabrechnungen: Besuche in Berlin, Erfurt, Jena und Leipzig, die die Zeiträume und Reiserouten in der DDR belegen. Die Pfiffling war immer wieder dabei. Diese Dokumente werde ich einmal ins Netz stellen, damit der Internetmobber weiß, dass es diese Hinweise tatsächlich gibt und ich mich stelle.
18. Juni 2008
Noch eine Stunde in den Kladden zusammen mit Elva. Sie fotografiert einige wichtige Seiten, bereitet sie für eine Präsentation auf. Aber wir sind uns noch uneins, ob wir diese Bilder einstellen. –
Wie oft habe ich dieses Grauen durchgeblättert. Dabei sind es NUR Zahlen: Daten, Tage und Dosen, getippt von einer Schreibmaschine. Unscharf macht sie nur die Technik und das Alter, aber sie verschwimmen vor meinen Augen, wenn ich mich auf sie einlasse.
Manchmal wundere ich mich, dass Helga Pfiffling mir eine so vollkommene Kopie gegeben hat. War das mehr als eine freundschaftlich, kollegiale Geste?
19. Juni 2008
Donatus macht an diesem Abend eine „Entschuldigungs“ – Performance zusammen mit Kumiko. Elva hat die beiden zusammen gebracht und Donatus mochte Kumiko gleich.
Wir alle sind ein gutes Team geworden. Wie oft sitzen gemeinsam in der Küche und entwickeln Ideen dazu, was passiert sein und wie das Ganze geklärt werden könnte. Man müsste alle versöhnen können. Auch wenn für einige Opfer nie wieder alles gut werden kann, wäre es sicher gut, alle Beteiligten in einem Raum versammeln zu können. –
Während wir uns wegen der vielen noch offenen Fragen absurde Anworten ausdenken und über einige Einfälle selber lachen müssen, kommen wir dieser Geschichte immer näher.
Inzwischen überlegen wir, ob wir nicht zu dritt, also Kumiko, Elva und ich zusammenziehen. Ich kümmere mich mal darum. Kumiko möchte auch, dass wir nach Japan gehen. Sie lädt uns zu sich ein, wenn wir dies hier abgeschlossen haben. Elva hat schon zugesagt.
Aber zurück zu heute: Donatus will sich vor die Besucher einer Galerie stellen und davon erzählen, was er gemacht hat und sich dafür entschuldigen. Er ist natürlich ungeladen. Deshalb soll es davon keine Bilder geben.
19. Juni 2008
Sie weiß, dass sie gesucht wird. Sie hat seit der frühen Jugend Jahre mit Leistungssport verbracht, ist selbst Opfer des Systems. Sie fühlt sich schwer betrogen: Um den Erfolg, ihr Grundvertrauen. Nun verlangt sie etwas. Sie ist der Überzeugung, dass man ihr etwas schuldet und sie es nicht erhält. Hans war der erste Versuch einer Abrechnung. Es ging nicht auf. Sie musste weiter handeln, weiter Lehren erteilen. Sie darf sich dabei nicht verraten. Es verkürzt die Momente der Genugtuung, beschränkt sie auf eine kurze Bahn und einen Knall. Dann bleibt nur die Erinnerung. Schreibt sie sie auf? Sie muss den Umfang vergrößern: Warum lehrt sie es nicht dem System? Den Politkern, den Verbandsvertretern, den Trainern, den siegeshungrigen Sportlern, die anderen mit sich ziehen, dem gierigen und gutgläubigen Publikum? Sie braucht die homöopathische Verdünnung ihrer Tat. Medizin aus Potsdam.
20. Juni 2008
Ich habe nun nochmals meine Ordner gefilzt. Ich habe mich endgültig dagegen entschieden, hier etwas aus der HBx10 Gruppe einzustellen. Dafür sind die Unterlagen zu wichtig und betreffen auch andere Menschen, die man besser über andere Kanäle anspricht. Dafür sind unsere Mittel nicht geeignet. Stattdessen stelle ich Belege zu Reisen und Besuchen ein, das könnte ich endlos fortsetzen:
1. Fahrt in die DDR
Flug nach Berlin – Schönefeld Ankunft 3. Mai 1986 20h15. – Fahrt mit dem Taxi ins Hotel Berlin. Übernachtung bis zum 7. Mai
Taxifahrten zu Sportplätzen in Friedrichshain und Hohenschönhausen und zwei Fahrten nach Hoppegarten
2. Fahrt in die DDR
Besuch von Konsum Leipzig, Einkauf in Komsum Leipzig, 12. September 1987
Fahrt nach Jena vom 13. bis 14 September– Übernachtung im Hotel Jena
Fahrt nach Berlin 15.-16. Sept., Übernachtung im Hotel am Alex (Interhotel „Stadt Berlin“)
Taxifahrt 15. Sept. zum Sportforum Hohenschönhausen
Flug nach Seoul am 16. Juli von Schönefeld nach Seoul zur Olympiade.
Rückkehr nach Frankfurt (a.M.) 3. Oktober 16h25.
30.9. 88 Zugfahrt nach Ungarn über Österreich
Flug nach Schönefeld von Budapest. Ankunft 3. Okt. 1988 14h30. Fahrt mit dem Taxi nach Hoppegarten. Fahrt nach Jena mit dem Zug 5.Okt. Abfahrt 10h22 Berlin Ostbahnhof Unterkunft in Hotel Jena Rückflug von Leipzig 7. Okt.
21. Juni 2008
Ursula kam gegen den Willen von Elva nach Berlin. Dabei war auch Markus, der langsam die Nase voll davon hat, dass diese Kunstaktionen so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen und wir die Familie auf Trab halten. Ihm scheint diese theatralische Auseinandersetzung völlig sinnlos. Aber wir sind eben nicht nur Kopf, wie Elva sagt (Kumiko nickt dann immer zustimmend, Daniel schweigt.). Die Vergangenheit lebt im Körper, man muss sich mit ihr konfrontieren. Markus schüttelt bei ihren Worten den Kopf. Er will seine Ruhe, er will Schuldige nur benannt und verurteilt sehen. Aber er kann sich Elva nicht entziehen, man sieht, wie er sie bewundert.
Ursula will eine Hilfe sein, doch mit ihrer Aufgeregtheit und den ständigen Fragen werden die Vorbereitungen für den großen Tag bei der Stasiakten-Behörde schwierig.
21. Juni 2008
Elva und ich fahren mit diesem Auto von Westberlin bis zur Karl-Liebknecht-Straße zur Stasiaufarbeitungsbehörde (STRECKE WIE UNTEN). Wir haben uns einen Leihwagen am Alexanderplatz ausgesucht, weil dies jederzeit die Rückgabe des Leihwagens nach dem Besuch des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Sicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ermöglicht. Wir rechnen nicht damit, den Wagen danach noch zu brauchen.
Fahrt x from Hans Brunkenhoffer on Vimeo.
22. Juni 2008
Ich habe mich mit den Putzkräften gestritten, weil sie mehrfach geklopft haben. Sie lärmten auf dem Flur, während ich noch weiterdösen wollte. Dann träumte ich von einer Aktion. Aber die war zu verrückt.