Mein Sohn Anton hat mir eine Journalistin vorgestellt. Sie schien mir ziemlich speziell. Für eine Journalisten viel zu offen. Eigentlich kann sich nur eine angestellte Journalistin leisten, so freizügig mit Infos umzugehen, als Freie hätte sie nicht so viel über ihr Spezialrecherchen gesprochen. Trotzdem muss ich vor ihr den Hut ziehen. Sie ist die einzige, die bisher soviel über die Praktiken ahnte, mit denen die Pfiffling die Sportler zum Erfolg brachte. Sie musste sehr, sehr gute Quellen besitzen.
24. Mai 2008
Dieser Tage lasse ich die Pfiffling-Gruppe Revue passieren. Alle Fotos legen nahe: Thyroxin brauchten die alle vor Wettkämpfen, jeder und jede von ihnen, denn es waren alles Kolosse mit zuviel Masse, eigentlich perfekte Kugelstoßer. -
25. Mai 2008
An Martin Steiger erinnere ich mich nur schwach, er war kein Ausnahmesportler, nicht das Ass im Stall, das war nur Manuela. Sie brachte diesen gefährlichen Spagat aus Natur und Optimierbarkeit durch Disziplin hin, aus ihren Genen ließ sich etwas machen! Dass es so schief ging, ist menschlich unerträglich. Da hat die Pfiffling nicht sauber gearbeitet. Ein wirkliches Unglück.
Man, nun bin ich wieder im alten Ton von Entschuldigung drin. Er beherrscht mich noch immer.
26. Mai 2008
Wenn man mit einem Schilddrüsenmittel den Stoffwechsel pusht, muss man unglaublich präzise sein, sonst bekommt der Sportler einen leeren Kopf – das ging namhaften Spitzensportlern so. Und es machte eigentlich nur Sinn, wenn die Körper schon mit Steroiden vollgepumpt waren und eine Art Finetuning beim Aufbau und Energieumsatz brauchten. Allerdings reagiert jeder Sportler anders; um es wirklich gut zu machen, muss er eigentlich wissen, was er nimmt. Man braucht das individuelle Feedback, sonst tappt der Arzt und Trainer im Dunkeln. Hier lag das Problem bei der Pfiffling, sie versuchte zwar durch Gespräche herauszufinden, was da vorging und notierte alles, aber letztlich musste und konnte sie ihr Experiment verschweigen. Dazu kann ich jetzt sagen: DAS MACHTE ES vollkommen UNVERANTWORTLICH.
26. Mai 2008
Nach langer Überlegung und Diskussionen mit meinem Sohn Anton und dessen Freundin Elva habe ich mich entschieden, die Manuela Pirosch, DEN muss ich jetzt sagen, zu besuchen. Nie habe ich persönlich einen Sportler erlebt, der mit seinem früheren Leben so gebrochen hat. Er muss im Grunde immer ein fragiler Mensch gewesen sein, ein Grenzwesen.
28. Mai 2008
Die beständigen Drohungen, die ich hier bekomme, nur weil ich über meine Vergangenheit und die Konsequenzen daraus blogge, sind schon bedrückend. Ich setze mich wenigstens mit IHR auseinander – etappenweise – aber immerhin!
29. Mai 2008
So hat mir mein Sohn die Ankunft in der DDR geschildert:
Die innerdeutsche Grenze erreichten sie um die Mittagszeit. Er spürte Petras Aufregung, als er zum ersten Mal die Schilder mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz sah. Unter sich fühlte er Kekskrümel von den Doppelkeksen mit Schokofüllung, Raureif lag auf den vorbeiziehenden Bäumen. Der Atem des VOPOs dampfte. Petra hielt Papiere hoffnungsfroh hoch, der Beamte in den Vierzigern betrachtete Einreisegenehmigung und Einbürgerungsvertrag und sagte nichts. Er rief eine Kollegin. Sie sollten aussteigen und Auskunft geben. Zuerst kümmerten die sich um das aufgetürmte Gepäck oben. Seine Mutter blieb still, selbst als der Mann vom Aufnahmelager und begrenzten Lagermöglichkeiten sprach.
„Ja, mein Verlobter wartet dort bereits,“ sagte sie, „wie komme ich da wohl in das Lager?“
„Aha“, sagte der Grenzer nur. Thomas bemühte sich, ruhig zu bleiben. Bald dribbelte er. Seine Mutter musste darlegen, was sie mit dem Westauto in Hoppegarten wollte. Dafür gäbe es keine Genehmigung. Petra sah Thomas nicht an, Zärtlichkeit schien an der Grenze verboten. Sie wollte wohl die Männer von der VOPO zufriedenstellen. Er hatte fast kein Spielzeug und gar keine Bücher mitnehmen dürfen. In seinen Beinen veränderte sich etwas, weiche Knie. Er befahl den Stängeln Stillstehen, weil er sich auf die Durchsuchung konzentrieren, keine falsche Zeichen geben und die Sache verkürzen wollte – seine Mutter hatte ihn ermahnt. Die Beine schlackerten wieder, kein Spannen half mehr. Petra fragte, ob ihm kalt sei. Kalt, fragte er sich, war dies sein Gefühl? Hatte er Gänsehaut, wenn die letzten Sachen aus dem Kinderzimmer durch die Hände fremder, uninteressierter Menschen liefen? Petra warf ihm ihre Jacke um und hielt seine Hand. So machte er eine Welle im Raum. Der Grenzer grinste ihn an. Lieber hätte er die Jacke abgeworfen. So hätte er die Aufmerksamkeit nur vergrößert. Wie bekam seine Mutter eine Haltung hin, die jedem vermittelte, das Richtige in dieses Land zu bringen, nämlich sich? Die grauen Staatsvertreter öffneten und schlossen ohne Sinn und Verstand Kisten, Taschen und Koffer. Sachen fielen heraus und wurden wieder reingestopft, und nichts beanstandet – dank Petras Vorarbeit. Beim Wiedereinstieg ins Auto waren seine Beine sehr müde vom unterdrückten Zittern. –
Als er erwachte, parkte Petra vor einem riesigen Bau aus regelmäßigen, gerieften Betonplatten. Untergemischtes Kleingestein als Oberfläche, gleichmäßige Fenster. Sie gingen durch eine schlichte Flügeltür aus Glas und Metall mit breitem Holzgriff hinein. Neonlicht führte sie in ein Büro, wo sie Ausweise vorzeigten. Nur Schlafanzüge und Toilettensachen durften mit in die kleine Kammer, in die sie eine hagere Frau führte. Mausblondes Haar. Gedrückt wirkende Männer und Frauen warteten bereits mit ihnen. Das Zimmer war schmal, es muffte.
2. Juni 2008
Wieder laufe ich im Kreis. Ich brauche Überraschungen. Das Japanischstudium hat mir schon gut getan. Um mir einen anderen Blick auf diese Geschichte zu verschaffen, habe ich mich mit einer Körperkünstlerin getroffen, eine Japanerin noch dazu. Letztlich brauche einen neuen Blick. Ihre Installationen bestehen aus Abfällen und zerstörten Objekten. Genau so etwas tut Not, wenn ich aus meinen Schematas von Schönheit und Perfektion herauskommen will. Selbst in der Medizin ist die ostasiatische Medizin die wichtigste Alternative zu der klassisch westlichen Schulmedizin. Ich verspreche mir viel davon.
4. Juni 2008
galerie x from Hans Brunkenhoffer on Vimeo.
Über Wochen gesammelte Zigarettenstummel und Asche – mit diesem erkalteten Geruch. Wenn man sich die Raucher dazu vorstellt und dann einen ganzen Raum mit diesem menschlichen Abfall gefüllt und gestaltet sieht? Da bleiben einem die Worte weg.
Ausgerechnet hier kam mein Sohn gleich in Fahrt. Donatus-Sylvester auf einem Ascheplaneten: So stellte er sich das Seelenleben von Donatus vor, eine etwas absurde Vorstellung, wie ich finde. Aber es hatte was, spiegelte irgendwo das fundamental Falsche an diesem Menschen. Auf diesem Zigarettenfeld stoppelten sich die vielen unguten Vorrausetzungen zusammen, die meinen Sohn einfach zerreissen müssen.
5. Juni 2008
Donatus ist nicht offen zu mir. Ich weiß, dass er immer wieder auf meine Seite schaut. Aber er redet darüber nicht. Letztlich bin ich für sein Leben eine fast noch größere Bedrohung als Anton, weil ich das tue, was er nicht hinbekommt: Sich den Realitäten seines Leben zu stellen.
Auch wenn er mir immer wieder kleine Details von sich preisgibt, sind das letztlich nur halbe Wahrheiten, weil da so viel fehlt. Nebelkerzen, die eben nur ausgewählte Ausschnitte freigeben und so eine andere Realität vortäuschen. Eine Art Public Relation Kampagne, weil er Angst davor hat, zum Ganzen seiner persönlichen Wahrheit zu stehen.